GIGA-BONSAI-MERLOT | Danke René Gabriel

Von René Gabriel: www.bxtotal.com

Der Titel wirkt in sich schier schizophren. Giga steht nämlich für «etwas Grosses» und Bonsai für «etwas Kleines». Doch passen die gewählten beiden Wortgegensätze genau aus diesem Grund hervorragend. Denn – dieser Geschichte, geht es um einen grossen Merlot in ganz kleiner Menge.

Blättern wir doch diese neue Weinguts-geschichte etwas zurück. Zuerst nur um wenige Jahre. Im April 2012 wird bei Baggerarbeiten in Guntramsdorf ein archäologisch wertvoller Stein gefunden.

Darauf sind zwei Frauen beim Wein einschenken eingemeisselt. Expertisen schätzen dieses Relikt gut 2000 Jahre alt. So gilt es als bewiesen, dass die Römer rund um Mödling schon zu dieser Zeit in der Thermenregion Wein herstellten.

Blättern wir jetzt rund 300 Jahre zurück. Im Jahr 1723 komponierte Antonio Vivaldi (Bild) sein wohl bekanntestes Werk, die vier Jahreszeiten. Nach ein paar Sekunden vom 1. Satz vom Frühlingspart weiss man sofort; «das muss Vivaldi sein»! Wenige werden aber wissen, dass Antonio Vivaldi zwar in Italien (Venedig) geboren wurde, aber in Wien begraben liegt.

Wer in den Rebbergen in Guntramsdorf spazieren geht, kann sich mitunter wundern, dass aus einem gewissen Rebberg plötzlich Musik erklingt, nämlich Vivaldi.
Aber nur zur offiziellen Arbeitszeit, denn «die Reben brauchen wie wir Menschen auch ihre Ruhe», sagt der Garagenwinzer Andreas Nikolai, der zusammen mit seiner Ehefrau Brigitte für diesen neuen Austria-Supermerlot verantwortlich zeichnet.

So ist denn auch gleich das händisch geformte Relief des gefundenen Römersteinmotivs an der Flaschenschulter angebracht.
Dann werden die Konturen der abgebildeten Frauen mit den Weinkelchen – ebenso in liebevoller Handarbeit – sogar noch mit 24 Karat Gold verziert. Das Handgemachte bezieht sich auch auf die Einzelholzkisten, in welchen dieser rare und neue Guntramsdorfer-Merlot angeboten wird. Und beim Wein selbst, versteht es sich ebenfalls, dass da viel Handarbeit geleistet wird.

Andras und Brigitte Nikolai besuchten mich an ein paar Veranstaltungen und sprachen immer wieder begeistert von ihrem «Saturio». Ein Name der sich in groben Zügen ganz einfach mit «Zufriedenheit» deklarieren lässt.

Sie sprachen mich mehrmals darauf an, dass es super wäre, wenn ich mal ihren Wein kosten würde. Oder gar auf einem Besuch in Guntramsdorf vorbeikäme.
Und immer, wenn ich das Wort «Merlot» hörte und in meinem Kopf diese Traubensorte zusammen mit Weinland Österreich kombinierte, war die extreme Lust, dieses Projekt zu besichtigen und gar zu verkosten bei mir nicht besonders gewaltig.

Zwar ist der Merlot in Österreich keine unbekannte Grösse und es gibt da durchaus auch ein paar spannende Bewertungen, meist von recht bekannten Winzern. Aber der Merlot an sich bleibt irgendwie trotzdem ein önologisches Stiefkind. Meist erlebt er seine beste Performance erst, wenn man ihn mit anderen Rebsorten vermischt.

Seine Stiefkind-Affinität zeigt sich bereits in der Anbaufläche. Weniger wie 724 Hektaren werden momentan für Österreich gemeldet. Gemessen an der weltweiten Merlot-Anbaufläche von 267'215 Hektaren beträgt so der Austria-Anteil ein knappes Viertelprozent. Auf nationaler Basis beträgt sein Koeffizient dann doch 1.6 %. Tendenz leicht steigend. Offiziell zugelassen wurde die Rebsorte übrigens in Österreich erst im Jahr 1986.

Als wir mit Freunden eine Woche in den Weinbergen rund um Wien unterwegs waren, planten wir dann doch einen Abstecher nach Guntramsdorf, grad so als letztes Weingut, bevor wir uns in Schwechart wieder in den Flieger setzten. Wir suchen das Weingut. An der uns mitgeteilten Strasse gibt es ausschliesslich nur Einfamilienhäuser. Da rufen wir an. Der Hobby-Winzer Andreas ist höchst überrascht. Ja wir hätten mal von einem möglichen Besuch gesprochen, aber dass dies heute sei, wäre ihm möglicherweise durch die Lappen gegangen.

So werden wir spontan in die Josefigasse 8 in Guntramsdorf gelockt. Dort steht das Heurigenrestaurant von Gregor Schup. Bereits beim Eintreten wird mir klar: «gemütlicher geht nicht»! Obwohl dieses Lokal über keine Zimmer verfügt, möchte ich da grad spontan zwei Wochen Ferien buchen. www.schup.wien

Andreas und Brigitte Nikolai (Bild, links) treffen kurz darauf ein. Während wir einen wunderbar fruchtigen roten Veltliner aus Schup’s Keller geniessen, wird uns das Saturio-Projekt vorgestellt. Natürlich beginnt alles bei den Römern, bei diesem gefundenen Stein. Und von der Idee, mal einen besonderen Wein zu machen. Einen der «anders» ist und mit dem man vielleicht eine gewisse Anerkennung im Markt erlangen könnte.
Ich versuche zu kombinieren, aber das Ding wird zunehmend komplizierter und ebenso detaillierter. Als dann noch der Vivaldi mit einer Rebberg Beschallung ins Spiel kommt, werde ich immer misstrauischer. Die Geschichte scheint irgendwie in einen spirituellen Migrationshintergrund abzudriften. «Der Wein wird wohl rein exklusiv für Sektenmitglieder erhältlich sein», denke ich mir konsterniert.

Andreas erklärt mir die Flasche. Das geformte, vergoldete Emblem auf der Schulter. Den mit Siegellack eingeschlossene Korken am Hals.
Dann nimmt er seinen Saturio und schickt sich an, trotz verschlossener Flasche, den Wein einzuschenken. Und plötzlich ertönt aus der Flasche der «vivaldische Frühling».
Jetzt wird es aber kitschig! Da ist doch unten in der Flascheneinbuchtung tatsächlich so ein extrem-kleiner Musikapparat eingebaut.
Auf den kann man drücken, wenn man den Wein einschenkt. Klammheimlich schaue ich mich diskret im Restaurant um.

Dann gleiten meine Augen an den Wänden entlang. Und dabei studiere sämtliche Utensilien in unsere Tischnähe. Ist da eventuell irgendwo eine versteckte Kamera eingebaut? Und will man den Gabriel mit diesem Vivaldi-Theater auf die Schippe nehmen und ihn so in die Fernsehsendung «Verstehen Sie Spass» locken?

Immerhin ist in den letzten Minuten meine Erwartungshaltung gegenüber dem zu verkostenden Wein dramatisch gesunken.

Ich mache irgendwie gute Miene zum bös anmutenden Spiel und zeige eine äusserliche Freude für die bevorstehende Weinprobe. Dass dafür extra Gabriel-Gold-Gläser angeschleppt wurden, steigert zwar meine egoistische Zufriedenheit, lässt mich innerlich neutral bleiben. Man kann mich nicht kaufen! Schon gar nicht mit einem ellenlangen Vorspiel.

Später werde ich erkennen, dass ich mich zu Unrecht auf ein mögliches Fiasko eingestellt hatte. Denn – was mit den drei Erstlingsjahrgängen 2014, 2015 und 2016 eingeschenkt wird ist richtig guter, genialer Merlot!

Es sind keine banalen Merlotkopien welche unerreichbare Vorbilder reflektieren, sondern Merlots, welche schon bald von Austria-Weinfreaks gesucht und gehätschelt werden. Und in den Kellern gut positionierte Plätze neben grossen Pomerols und den Maremma Top-Merlots bekommen.

Der Saturio ist kein Bluff – sondern ein schwer beeindruckendes Merlot-Debut der absoluten Spitzenklasse.

2014 Saturio, Garagenwinzer Nikolai, Guntramsdorf: Produktion 199 Flaschen, plus wenige Grossflaschen. Dunkles Granat, aufhellender Rand. Das Bouquet beginnt zart floral, vermittelt feine Paprikanoten, dann Zedern und dominikanischer Tabak. Im zweiten Ansatz wird die Nase süsser und zeigt Erdbeeren, Milchschokolade und eine Nuance von kaltem Milchkaffee. Im Gaumen ist er recht fein unterwegs, eher auf der eleganteren, respektive leichteren Seite. Die durch das Barrique beigefügten Holznuancen sind wunderschön eingebunden, das Finale schmeckt nach Alpenheidelbeeren. Einzig im Fluss findet man versteckt dezent mürbe Konturen. Dies ist dann eher Jahrgangstypisch. Für dieses schwierige Jahr ein schon schier sensationeller Beginn. Ein auffallender Merlot – ohne Bluff-Allüren. 17/20 trinken – 2025

2015 Saturio, Garagenwinzer Nikolai, Guntramsdorf: Produktion 399 Flaschen, plus wenige Grossflaschen. Sehr dunkles Granat mit violettem Schimmer im Inneren. Der erste Kontakt beginnt mit einem WOW! Verrücktes Bouquet, voll bespickt mit reifen Früchten; Cassis, Brombeeren und Himbeeren. Es sind aber auch Cakesfrüchte da, Ingwer, Kokos und zarte Frischkräuternuancen. Im Untergrund ist er unterlegt mit dunklen Edelhölzern. Extrem beeindruckend und bereits nasal kolossal intensive Aromen abliefernd. Dies alles ohne bombig oder alkoholisch zu erscheinen. Der Gaumen ist einerseits sehr konzentriert, andererseits seidig und wohl balanciert. Der Zungenfluss zeigt stoffige Konturen, das Finale ist ein schier überbordernder Cassisreigen. Eine legale Genussdroge. Das ist mondiale Merlot-Champions-League! Ein neuer, extrem rarer, fraglos imposanter Wein mit Kultpotential. Man könnte ihn in grosse Welt-Merlot-Blindproben reinstellen. Aber zum Degustieren ist dieser Garagenwein viel zu schade. Das ist eher ein Wein, den man seinen Freunden blind einschenkt und sich dann vom völlig augenreibenden Gast für seine Entdeckungstrophäe auf die Schulter klopfen lässt. Glück dem der diesen «Vivaldi unter den Merlots» im Keller hat. 19/20 trinken – 2030

2016 Saturio, Garagenwinzer Nikolai, Guntramsdorf: Produktion 840 Flaschen, plus wenige Grossflaschen. Sattes Purpur mit zartem Lilaschimmer. Die Nase zeigt viel Primärfrucht und ist mit einem Brombeer-Maulbeercocktail zu vergleichen, fein unterstützt von dunkler Schokolade. Im zweiten Ansatz zeigt er Damaszenerpflaumen in Frucht und auch in fein destillierter Form.
Unterlegt ist das vielschichtige Bouquet von zarten Darjeeling-Teenoten. Der Gaumen ist cremig, die Textur samtig, er hat seine Balance irgendwie bereits jetzt schon gebunden, einzig der Fluss ist gegen das Finale von einer minimen, dezent herben Gerbstoffnote beeinflusst. Dieser Saturio ist absolut perfekt vinifiziert. So geht Merlot! 19/20 trinken 2020 – 2029